Pflanz dir einen Baum fürs Leben

Links der Ginko-Baum und rechts seine Blätter

Gerade halte ich eine meiner Lieblingstassen in der Hand, auf der Goethes bekanntes Gedicht abgedruckt ist, mit dem er der Blattform eines Ginkgos ein Denkmal gesetzt hat. Ob der Ginkgo biloba, so der botanische Name, durch seine Zeilen mein Baum fürs Leben wurde? Auf jeden Fall gehört er zu den von mir favorisierten Baumgewächsen. Es ist nicht die viel bemühte Eiche, die mich beeindruckt, und schon gar nicht die Linde, die zur Blütezeit zwar unwiderstehlich duftet, doch auch alles, was darunter steht, ganz schrecklich mit einem klebrigen Schlier überzieht. Neben Apfelbäumen, Rotbuchen (wird Baum des Jahres 2022) und Trauerweiden, sind es die Ginkgo-Bäume, die mir oft in meinem Alltag begegneten. Und so entschloss ich mich vor Jahren: Pflanz dir einen Baum fürs Leben.

Auf einem Pflanzentag im Arboretum in Ellerhoop-Thiensen bei Pinneberg fand ich meinen Baum. Er war eher noch ein kleines Bonsai-Bäumchen. Irgendwie spürte ich, es wollte nicht in meiner Wohnung wachsen, und so bekam der kleine Ginkgo seine Heimat auf dem Balkon, wo er nun seit vielen Jahren wächst, Wind und Wetter trotzt. Er wächst immer nur ein Stückchen, denn mehr gibt sein Pflanztopf nicht her, und diesen teilt er sich noch mit einer Bergminze. 

Ein lebendes Fossil

Weshalb erzähle ich das alles? Dieser Baum gibt Anlass zum Staunen. Es wurden Blattfossilien gefunden, welche die Wissenschaft etwa 200 Millionen Jahre zurückdatieren kann. Er gehört zu den einzigen Baumgattungen, die aus Urzeiten überlebten. Ginkgos sind damit lebende Fossile. Forschende vermuten, dass ein Ginkgo die älteste Baumpflanze überhaupt ist. Er kann bis zu 40 Meter hoch werden. Den Blättern und Samen werden schon sehr lange Heilkraft “angedichtet“. Wissenschaftliche Belege bleiben in den meisten Fällen aus. Ich möchte all denen, die daran glauben, diesen Glauben nicht nehmen.

Wer hat den ältesten Ginkgo-Baum?

Ein Ginkgo kann bis zu 1000 Jahre alt werden. Interessant ist auf jeden Fall der Streit, wer den ältesten Ginkgobaum sein eigen nennt. In Deutschland wetteifern viele Städte um den Titel. Frankfurt hat ein Exemplar zu bieten, das um 1750 gepflanzt worden sein soll. Der Botanische Garten in Jena präsentiert einen alten Ginkgobaum, dessen Anpflanzung Goethe in Auftrag gegeben haben soll. Auf jeden Fall gibt es einen stattlichen Ginkgo, der tatsächlich im Jahr 1815 auf Goethes Betreiben in Weimar hinter dem Fürstenhaus gepflanzt wurde. Der tatsächlich belegte älteste Ginkgo-Baum Deutschlands steht in Rödelheim. Er ist 18 Meter hoch. Wenn es also um die Langlebigkeit geht, kann ich nur raten: Pflanz dir einen Baum fürs Leben. Pflanz dir einen Ginkgobaum, doch lieber nur einen männlichen, denn die weiblichen Fruchtstände sollen im Frühjahr zum Himmel stinken.  

Auch in Hamburg, wo ich lebe und arbeite, wachsen viele Ginkgobäume, und es gibt derzeit Projekte, diesen Baum, der widerstandsfähiger zu sein scheint alle anderen Baumgenossen, nun massenweise in Hamburg anzupflanzen. Im Jenischpark mit seinem Naturschutzgebiet mitten in der Stadt im Hamburger Westen wächst ein etwa 23 Meter hoher Ginkgo mit einem Umfang von mehr als 3.72 Metern, der auch schon sehr alt ist. Er stammt geschätzt aus der Zeit um 1800. Was könnten all diese Bäume uns erzählen? Sie haben viele schlimme Kriege überlebt und sogar schon zur Zeit von Goethe, der ihnen vor mehr als 200 Jahren ein literarisches Denkmal setzte, gelebt. Die ältesten Ginkgos der Welt finden wir in China. Genaue Zahlen konnte ich nicht herausfinden, denn die Seiten, die darüber berichten, sind auf Chinesisch verfasst, und der Übersetzer schien nicht hilfreich zu sein. Wir finden ihn dort als heiligen Baum in Tempelgärten. Er wird wegen seiner Blattform, die an Frauenhaarfarn erinnert, auch Mädchenhaarbaum genannt.

Die Blattform reizt die Kreativen

Erst nach etwa 50 Jahren entfaltet ein Ginkgo seine volle Pracht. Der Wuchs dürfte es nicht an erster Stelle sein, was uns so sehr am Ginkgo reizt, sondern wohl eher seine Blattform. Und nun wird es Zeit, den Fürsprecher dieses Blattes endlich zu Wort kommen zu lassen.

Ginkgo Biloba

Dieses Baums‘ Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst Du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?

Johann Wolfgang von Goethe

Diese interessante Blattform, die sich gleichsam nach dem Ying-Yang-Prinzip in zwei Hälften auffächert, reizt auch Kunstschaffende, Schmuckdesigner*innen und Fotograf*inn*en, sie kreativ darzustellen. Blätter werden in Gold gegossen, mit Gold und Silber ummantelt, gemalt, gezeichnet, in Collagen verklebt und zu Tee verarbeitet. Achtung, sie sollen giftig sein. Sogar ein Ginkgo-Museum gibt es. Mit viel Merchandising ernährt Goethe also durch seine Gedichtidee noch heute ganze Kultur- und Wirtschaftszweige. Ich sammle alle Jahre im Herbst seine hellgelben Blätter, trockne sie zwischen Buchseiten und dekoriere damit  die Weihnachtskrippe. Manche lege ich meiner Briefpost bei. Ein Gruß aus der Natur und aus uralter Zeit.

Inspiriert dich dieses Blatt ebenso? Hast du schon mal ein Ginkgoblatt in einer künstlerischen Form dargestellt? Gibt es Geschichten, Erlebnisse, Reisen, die du mit einem Ginkgobaum verbindest? Erzähle uns doch davon. 

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